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Kurzer Nachtrag zum #Aufschrei

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Nachdem ich mir schon meinen Frust von der Seele gerantet habe, folgt jetzt noch ein (hoffentlich) etwas reflektierterer Beitrag zum Thema sexuelle Belästigung. Genauer gesagt zu der Frage, ob nicht auch die Frauen in der Verantwortung sind, sich zu wehren.

 

Diese Aussage ist für mich – kurz gesagt – ein Zeichen von mangelnder Solidarität. Natürlich gibt es Frauen, die noch nie Opfer von sexueller Belästigung wurden, oder die vieles nicht so empfinden (Blicke oder sexistische Sprüche). Und im ersten Moment liegt auch nahe, dass Frauen einfach häufiger die Ellbogen ausfahren oder verbal etwas zurückklatschen sollten. Aber eben nur im ersten Moment.

 

No means no? Yes means yes!

 

Zunächst mal: herzlichen Glückwunsch, wenn man noch nie sexuelle Belästigung erlebt hat. Das ist nicht selbstverständlich. In einer Studie des BMFSFJ gaben 60% der Frauen an, schon mindestens einmal Opfer davon geworden zu sein. Wenn man selber nicht darunter ist, bedeutet nicht, dass das Problem nicht existent ist oder dass alle anderen Frauen selbst schuld sind. (Dazu: #Aufschrei – Es geht nicht um mich)

 

Sexuelle Belästigung ist ein sichtbares Problem, wird aber gleichzeitig noch viel zu wenig thematisiert: Man sieht ja, wie es gleich als “Tabubruch” aufgefasst wird, wenn eine Journalistin über einen zudringlichen Politiker berichtet, oder wieviele Männer sofort in die Defensive gehen und dumme Witzchen machen müssen, wenn Frauen (teil)öffentlich und kollektiv von Übergriffen erzählen. Ich möchte ja niemandem etwas unterstellen, aber wenn man sich so sehr weigert, das eigene Verhalten mal zu reflektieren, liegt die Vermutung nahe, dass man einfach keine Verantwortung für eigene Fehltritte übernehmen will.

 

Das Traurige ist, dass die, die jetzt schreiben, Frauen müssten eben “lernen sich zu wehren”, Männern damit eine wunderbare Ausflucht bieten. “Genau, die soll mir halt einfach sagen, wenn sie nicht angegrabscht werden will. Und wenn ich einen dummen, sexistischen Spruch reiße und sie zwar nicht lacht, aber auch nix sagt, dann wird sie’s ja wohl irgendwie doch lustig finden.”

 

Vergewaltigung und sexuelle Belästigung sind nicht dasselbe, aber ich musste an den Mann denken, der wegen Vergewaltigung einer Fünfzehnjährigen angeklagt war, und freigesprochen wurde, obwohl das Mädchen “nein” gesagt hat. Aber halt nicht deutlich genug. So ist das in unserer Gesellschaft. Wenn man nichts sagt, ist das Zustimmung. Wenn man “nein” sagt, ist es halt nicht deutlich genug. Sexuelle Selbstbestimmung der Frau? Fehlanzeige.

 

Und überhaupt: Wie oft haben sich Frauen schon gewehrt und es hat überhaupt nichts gebracht?

 

Das Problem sind nicht die einzelnen Fälle – das Problem ist strukturell

 

Wohlgemerkt: Ich rede hier nicht von Situationen, in der Frauen Sexismus erleben, aber in einer Verhandlungsposition sind. (Struktureller) Sexismus und sexuelle Belästigung sind ohnehin nicht immer denkungsgleich – die Tatsache, dass wir uns so schwer tun, sexuelle Belästigungen gesellschaftlich zu verurteilen, ist allerdings auch struktureller Sexismus. Andersrum ist aber nicht jede Form von Sexismus auch gleich sexuelle Belästigung. Auf Twitter gingen hier natürlich viele Dinge durcheinander – das war aber ja nun auch nicht als differenzierter Beitrag, sondern als Frust-und-Wut-rauslassen und als Sichtbar-machen gedacht – eben ein Aufschrei.

 

Zurück zur Verhandlungsposition: Ich bin beispielsweise durchaus der Meinung, dass wir uns das Lohngefälle nicht gefallen lassen sollten und in Gehaltsverhandlungen grundsätzlich energischer auftreten müssen. Nicht, dass sich das Problem dadurch über Nacht verflüchtigen würde. Aber es ist ein Beispiel, bei dem man als Frau, wenn auch nicht auf Augenhöhe mit dem Gegenüber, doch zumindest in einer Position ist, in der man das Thema anschneiden und energischer sein Recht einfordern kann – und dann (möglicherweise) auch ernst genommen wird. (Irgendwo habe ich das Beispiel gelesen, dass eine Frau auf Dienstreisen immer das kleinste Hotelzimmer bekommen hat. Für mich auch so ein Fall.)

 

Diese Ungleichbehandlung ist zwar Sexismus, aber keine sexuelle Belästigung.

 

Wird man hingegen auf einer Party von einem Bekannten oder auf der Firmenfeier vom Chef auf dessen Schoß gezogen, “weil’s doch grad so locker und lustig zugeht”, und man das nicht will und das auch laut mitteilt – dann ist die Verhandlungsposition futsch. Stattdessen sei man eine prüde Zicke und solle sich doch bitte nicht so anstellen.

 

Sich effektiv zu wehren setzt voraus, dass mein Gegenüber entweder beschämt wird oder Einsicht zeigt. Letzteres halte ich persönlich für nicht sehr wahrscheinlich – die wenigsten Täter werden in einer solchen Situation über ihr Verhalten nachdenken und dann zu der Einsicht kommen, dass es falsch war. Und beschämen kann man einen Täter nur, wenn er nicht in einer Machtposition ist: Wie zum Beispiel der Chef, der dann einen chauvinistischen Witz reißt, und vom Rest der Belegschaft Unterstützung in Form von Gelächter bekommt. Die gesellschaftliche Ächtung erfährt auf einmal nicht der Täter, sondern das Opfer.

 

Auch in Situationen, in denen eine Frau von einem Fremden belästigt wird, ist nicht immer so leicht zu meistern. Ich habe es oft genug erlebt, dass ein Mann in der S-Bahn immer dichter an mich heranrutscht. Wenn ich ihn dann – höflich oder genervt – bitte, mir etwas Platz zu lassen, grinst er mich an und rutscht noch ein Stück näher. Mir bleibt letztendlich nichts anderes übrig als aufzustehen und mir einen anderen Platz zu suchen. Zählt das auch zu “sich wehren”? Ich kam mir nämlich nie vor, als wäre ich als Sieger aus der Situation hervorgegangen. Im Gegenteil: Ich fühlte mich dann erst recht schlecht, jetzt auch noch aufzustehen und klein bei zu geben.

 

Noch dazu, wenn der Rest der Fahrgäste nur betreten in eine andere Richtung blickte.

 

Männer sind in der Verantwortung

 

Die Erfahrung, wie wenig Unterstützung man manchmal als Frau nach sexueller Belästigung erfährt, wenn sich zur Wehr setzt, hält sicherlich viele Frauen davon ab, den Mund aufzumachen. Diese Frauen dann als dumme Lämmchen abzustempeln, die sich in ihrer Opferrolle einfinden, halte ich für unreflektiert und nicht gerechtfertigt.

 

Nicht jeder Fall muss so aussehen – und es ist ja nicht falsch, sich zur wehren und den Mund aufzumachen. Es sollte nur einfach nicht notwenig sein.

 

Die Verantwortung liegt bei den entsprechenden Männern. Sie müssen ihr Verhalten reflektieren und gegebenenfalls ändern. Sie sind in der Machtposition und aus dieser heraus muss die Veränderung erfolgen. Die Defizite im Verhalten liegen nicht bei den Frauen, sondern bei den Männern! (Dazu: Derailing und die Lämmerfrage)

 

Für alle (Männer), die jetzt immer noch lesen: Ich habe in den letzten Tagen viele Männer erlebt, die zugegeben haben, dass sie sich über ihr Verhalten Gedanken machen. Danke. Ernsthaft. Niemand verlangt, dass ihr perfekt seid – auch Frauen sind sexistisch, manches passiert halt einfach mal, okay. Aber solange ihr gelegentlich darüber nachdenkt und manche Verhaltensweisen überdenkt, macht ihr alles richtig. Niemand ist perfekt, ich habe auch sexistische Gedanken und einen Haufen Vorurteile gegenüber allen möglichen Leuten.

 

Das wichtige ist, dass man sich dessen bewusst ist und entsprechend an sich arbeitet. Wenn sich Frauen dann in eurer Gegenwart wohler fühlen, haben wir alle gewonnen.

 

 

P.S.: Ich schreibe hier immer von “den Frauen” und “den Männern” und natürlich ist das viel zu pauschalisiert. Im Sinne der Lesbarkeit habe ich es so formuliert, bin mir aber durchaus bewusst, dass hier noch sehr viel genauer differenziert werden müsste. Keinesfalls möchte ich Männer unter Generalverdacht stellen – zumal ich von den meisten Männern, denen ich persönlich in meinem Leben begegnet bin, auch in keinster Weise belästigt wurde. Verzeiht es mir also bitte.

 

P.P.S.: Kommentare werden moderiert.

 

P.P.P.S: “Kurzer” Nachtrag?


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